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Gott klar sehen

Wie bekommt man ein klares Bild von Gott?

Vor einiger Zeit beschrieb jemand in einem Gebetstreffen ein Bild von einem „Löwen an der Leine“, was zunächst keine große Aufmerksamkeit erregte. Erst bei näherem Hinsehen wurde der Offenbarungs- und Ermahnungsanteil dieses Bilds klarer, denn schließlich beschreibt es, dass der Mensch versucht, Kontrolle über Gott auszuüben, und sich wünscht, er möge die Dinge so tun, wie wir es wollen. Es ist eigentlich ein verstörendes Bild, das zeigt, dass der Mensch nicht immer bereit ist, Gott Gott sein zu lassen und stets Gefahr läuft, sich ein falsches Gottesbild anzueignen.

Können wir überhaupt sicher sein, dass unser Gottesbild korrekt und „biblisch“ ist? Trüben menschliche Erfahrungen und Nöte sowie persönliche Wünsche und Vorlieben nicht zwangsläufig unseren Blick auf Gott? Ist es nicht so, dass wir intuitiv bestimmte Charaktereigenschaften Gottes bevorzugen und uns daraus ein eklektisches Bild von ihm zusammenbauen?

Wie können wir Gott klarer sehen? Auch wenn wir die Wahrheit, Jesus Christus, gefunden haben, müssen wir die Herausforderung annehmen, kontinuierlich nach der Wahrheit zu suchen und sie zu lieben (vgl. 2 Thes 2,10). Die Wahrheit zu lieben bedeutet, nichts, was Gott betrifft, für selbstverständlich zu erachten, sondern vielmehr dafür sensibel zu sein, ob wir menschliche Vorstellungen von geistlichen Dingen übernommen haben. Die Wahrheit zu lieben bedeutet auch, nicht automatisch davon auszugehen, dass alles, was wir über Gott glauben, die Wahrheit ist, bloß weil wir Christen sind. 

Denn wir erkennen stückweise und wir weissagen stückweise; wenn aber das Vollkommene kommt, wird das, was stückweise ist, weggetan werden. 1. Korinther 13,9-10

Wer Gott klar sehen möchte, sollte zunächst einmal demütig genug sein zu erkennen, dass keine menschliche Wahrnehmung eine exakte Abbildung der Wirklichkeit liefert. Weder unsere fünf Sinne noch unsere Emotionen oder unsere geistlichen Antennen bieten uns „objektive“ Wahrheit. „Wir erkennen stückweise…“ sagt die Bibel (vgl. 1 Kor 13,9), was bedeutet, dass weder unser Bild von Gott noch unsere Wahrnehmung geistlicher Zusammenhänge zu hundert Prozent wahrheitsgetreu ist.

Aber hier spielen nicht nur Faktoren eine Rolle, die in unserem Inneren liegen: Bestimmte Trends innerhalb der zeitgenössischen christlichen Kultur präsentieren einen Jesus, der nicht völlig mit dem Original übereinstimmt. Vielleicht meinen wir, glaubensferne Menschen seien besser zu erreichen, wenn wir eine „gefälligere“ Botschaft oder einen „netteren“ Jesus präsentieren? Wer aus einer Tradition kommt, in der Gott als streng und ernst empfunden wird, ist vielleicht versucht, seine „milderen“ Charakterzüge stärker hervorzuheben. All das könnte eine Erklärung dafür sein, warum heutzutage in Predigten häufig ein Gott präsentiert wird, der sich ständig um „meine Bedürfnisse“ dreht und in Texten von Worship-Songs öfter das Wort „ich“ vorkommt als „du“. Wir müssen für uns selbst dieses Ungleichgewicht korrigieren, wenn wir Gott klar sehen wollen: Wir drehen uns um ihn; es geht um ihn, nicht um uns!

Es besteht auch gar keine Notwendigkeit, Gott ein „softeres“ Image zu geben. Wir tun der Welt keinen Gefallen, wenn wir seine Liebe auf eine weichliche Sentimentalität reduzieren. Würden Sie Ihrem Ehepartner glauben, wenn er/sie Ihnen die ganze Zeit über nur sagen würde, wie toll Sie sind? Wenn wir versuchen, Gott klar zu sehen, stellen wir fest, wie absolut ausgeglichen er ist: Seine Liebe ist sowohl Gnade als auch Wahrheit, sowohl Sanftheit als auch Geradlinigkeit, sowohl Intimität als auch Pragmatismus.

Die Suche nach der Wahrheit, wer Gott wirklich ist, wird nicht hier auf Erden enden. Das unbehagliche Gefühl, dass mein Gottesbild möglicherweise nicht mit dem biblischen Befund übereinstimmt, ist Beleg dafür, dass Gott dabei ist, mir Offenbarung zu schenken, und ein Anreiz, tiefer zu graben.

Das unbehagliche Gefühl, dass mein Gottesbild möglicherweise nicht mit dem biblischen Befund übereinstimmt, ist Beleg dafür, dass Gott dabei ist, mir Offenbarung zu schenken, und ein Anreiz, tiefer zu graben.

 Schließlich haben wir zwei große, unerschütterliche Wegweiser, die uns helfen, ihn klarer zu sehen und Fehleinschätzungen zu korrigieren: zunächst einmal sein Wort, seine eigene Erklärung dessen, wie und wer er ist. Nicht alle Kirchen und Gemeinden gehen tief in die Bibel hinein. Wo dies nicht geschieht, sollten wir unser Bestes versuchen, um selbst das Wort zu studieren, denn ein Mangel an systematischer Bibellehre kann ebenfalls Nährboden für falsche Gottesbilder sein. Der zweite Punkt ist seine Einladung zu inniger Gemeinschaft mit ihm, der unserem Geist in Begegnungen, die Leben schenken, die Wahrheit seines Wortes bestätigen will. Wie würde unser Leben aussehen, wenn er uns nicht immer wieder in der Anbetung souverän überstimmen und „ent-täuschen“ würde und wenn er nicht unsere falschen Vorstellungen sanft widerlegen und den Schleier von unseren Augen wegnehmen würde, damit wir ihn klar sehen können?!

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