Die Einteilung der Menschen in vier „Temperamente“ gibt es seit der Antike. Inzwischen gilt sie jedoch als überholt. Dennoch sind vielen von uns die Begriffe „Sanguiniker“, „Choleriker“, „Melancholiker“ und „Phlegmatiker“ noch geläufig und werden manchmal zur allgemeinen Charakterisierung von Personen herangezogen.
Tatsächlich würde sich eines dieser Temperamente besonders gut eignen, um ein aktuelles gesellschaftliches Phänomen zu beschreiben, das man immer wieder auch unter Künstlern findet: eine gewisse Neigung zur Isolation (was dazu führt, dass man „für sich bleibt“ und Gemeinschaft mehr meidet als sucht); ein sich rasch einstellendes Gefühl der Überforderung (so dass man öfters Dinge von sich weist); die Wahrnehmung, dass Entscheidungen vermehrt eine große innere Anstrengung und Überwindung erfordern; und eine gewisse Motivationslosigkeit - Menschen sind weniger begeisterungsfähig und beziehen seltener Stellung, so dass das „Ja“ oder „Nein“ oft von einem kräftigen „Vielleicht“ übertönt wird.
Der Begriff „phlegmatisch“ aus der eingangs erwähnten Temperamentenlehre geht zurück auf „phlegma“ und bedeutet so viel wie „träge“ oder „gleichgültig“. „Phlegma“ bedeutet ursprünglich unter anderem „(zähflüssiger) Schleim“. Und so wird man den Eindruck nicht los, dass das Miteinander kreativer Menschen bisweilen unter dieser Schwerfälligkeit leidet: Der Weg zu meinem Kollegen ist mir zu weit; die Beschäftigung mit seinen/ihren Nöten und Herausforderungen ist mir zu viel; die Reise zu einem Künstlermeeting ist mir zu mühsam; die Überwindung bürokratischer Hürden zur Durchführung von künstlerischen Projekten ist mir zu beschwerlich; innovative Wege zu gehen, um Menschen über unsere Kunst mit der Hoffnung unseres Glaubens zu erreichen, werden durch ein „Was bringt's ...“ erstickt ...
Könnte man da nicht das Bild von zäh dahinfließendem Schleim vor sich sehen – im Gegensatz zu pulsierendem Blut? Wir können nicht einfach hinnehmen, dass unsere Kommunikation und Interaktion immer träger wird! Wir dürfen nicht hinnehmen, dass uns der Kollege, die Kollegin aus dem Gesichtsfeld entschwindet und man nichts mehr voneinander weiß! Wir sollten nicht hinnehmen, dass unsere künstlerische Leidenschaft zähflüssig wird und früher oder später zum Stehen kommt! Es hilft auch nicht, alles als „Corona-Spätfolge“ zu rechtfertigen. Wo auch immer das „Phlegma“ herkommt, von innen oder von außen, aus natürlichen oder übernatürlichen Quellen: Es braucht ein klares „Ja“ unsererseits, ein Aufrappeln, ein Sich-Wehren, ein „Dennoch“, damit sich der zähflüssige Schleim verdünnisiert. Und für den, der sich voller Elan und Hoffnung wieder aufmacht, wird unser Gott die Dinge ins Fließen bringen.