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Weltkugel links, leicht überlappend rechts daneben sitzt ein Maler in einer gelben Kugel

„Ich bin nicht mehr in der Welt; sie aber sind in der Welt... Sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin.“ (Joh 17,11.16; LÜ)

Die eingangs zitierter Bibelstelle beschreibt unsere Situation als Gläubige hier in dieser Welt und skizziert zudem unsere Aufgabe: Als Gläubige sind wir Teil dieser Welt; wir leben hier und wenn wir Künstler sind, schaffen wir unsere Kunst in dieser Welt. Gleichzeitig sollten wir es nicht zulassen, dass die Welt uns ihre Wertvorstellungen aufdrückt, wodurch wir zu Menschen würden, die „von der Welt“ sind. Dies würde bedeuten, dass wir Teil des säkularen Wertesystems werden bzw. des vorherrschenden, alles durchdringenden „Zeitgeists“ um uns herum.

Es liegt auf der Hand, dass die Beziehung zwischen der Gemeinde Jesu und der Welt voller Kontroversen ist und aus diesem Grund seit je her auf dem Radar christlicher Lehrer und Leiter. Die Frage, wie wir als Christen in einer geistlich korrekten Art und Weise in einem säkularen Umfeld leben und uns dort „verhalten“ sollen, ist Auslöser zahlloser Diskussionen, weil sie eine Grundfeste christlicher Ethik tangiert, die traditionell mit dem Begriff „Heiligung“ umschrieben wird – und „Heiligung“ ist ein Muss für jeden Christen, denn ohne sie wird „…niemand den Herrn sehen“ (Hebr 12,14; LÜ).

„Ich bin nicht mehr in der Welt; sie aber sind in der Welt... Sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin.“ (Joh 17,11.16; LÜ)

Die Lehre von der „Heiligung“ beruht u.a. auf der Überzeugung, dass ein Gläubiger, der in dieser Welt lebt, ständig Gefahr läuft, von deren Attraktionen, Ideen und Ideologien verunreinigt zu werden. Aus diesem Grund muss er wissen, wie er sich vor diesen Einflüssen schützt, um nah am Herrn zu bleiben, in seiner Berufung nicht vom Kurs abzuweichen, und in seinem Denken klar sowie in seinen Beziehungen rein zu bleiben. Da die „Welt“  die eigentliche Quelle der Verunreinigung zu sein scheint, hat man Christen oft gelehrt, einen Sicherheitsabstand zu ihr zu wahren – was bedauerlicherweise zu einer Art „christlicher Ghettoisierung“ geführt hat: unzählige christliche „Bubbles“, in denen Gläubige unter sich und vor der Welt sicher sind. Es stimmt: Wir sollen „...uns selbst von der Welt unbefleckt halten“ (Jak 1,27; LÜ), aber es besteht die realistische Gefahr, dass man diesen Aufruf gesetzlich versteht und infolgedessen eine Haltung annimmt, die besagt: „Die Welt ist an sich durch und durch schlecht. Du sollst nichts damit zu tun haben! Halte dich von ihr fern!“ Das kann zu einer weiteren gedanklichen Schlussfolgerung führen, der so ähnlich klingt wie: „Moment mal: Wer ist denn die ‚Welt‘? Das sind doch die Menschen! Die Menschen sind es also, die mich verunreinigen. Also muss ich mich von ihnen fernhalten!“

Da die „Welt“  die eigentliche Quelle der Verunreinigung zu sein scheint, hat man Christen oft gelehrt, einen Sicherheitsabstand zu ihr zu wahren.

Wo sich diese gedankliche Verknüpfung festgesetzt hat, verschwimmt die Unterscheidung zwischen der „Welt“ (einem System) und den Menschen, die in der Welt leben (Einzelpersonen); dabei geht auch die Unterscheidung zwischen „Sünde“ und „Sünder“ verloren. Wenn wir Christen so denken, führt dies unweigerlich dazu, dass wir uns von unseren ungläubigen Mitmenschen, Arbeitskollegen, Teamkollegen, Kommilitonen etc. zurückziehen, weil wir Angst haben, von ihnen möglicherweise verunreinigt oder von unserem Glauben abgehalten zu werden. Dieser Rückzug ist ein ausgesprochen unglückseliges Missverständnis. Zugegeben: Wir sollten uns von den Werten und schlechten Dingen dieser Welt fernhalten, aber doch nicht von den Menschen! Es besteht kein Zweifel daran, dass Jesus in Matthäus 5 sagt, wir seien das Licht der Welt. Als Christen sind wir (ganz bewusst) in eine finstere Welt hineingestellt worden, um dort Licht zu sein. Wir sind nicht dazu aufgerufen, diesen finsteren Ort zu verlassen, um auf einer heiligen „Wolke 7“ zu leben. Nebenbei bemerkt müssen wir uns dessen bewusst sein, dass dieses „Absonderungsverhalten“ durchaus ein Affront für unsere Mitmenschen sein kann, denn die Tatsache, dass wir uns von ihnen fernhalten, weil wir Christen geworden sind oder Angst vor Verunreinigung haben, können sie ohne Weiteres deuten als ein „Ich interessiere mich nicht für dich! Ich will deine Gesellschaft nicht!“ Wieviel Missverständnis, Verwirrung, ja sogar Verärgerung würde das in den Herzen derer hervorrufen, die wir mit der Liebe Jesu erreichen sollen?!

Ein latentes oder offensichtliches „Absonderungsdenken“ seitens der Christen kann verhindern, dass wir uns mit den Menschen in der Welt identifizieren, ja oft macht es uns unfähig, uns mit ihnen zu identifizieren. Vielleicht gibt es da einen „Empathiemuskel“ in unserem Geist, der verkümmert, wenn er nicht trainiert wird?! Viele Gläubige haben keinen Bezug zu den Nöten, Leiden, Werten und Problemen der Menschen, die in unserer heutigen Welt ums Überleben kämpfen. Viele von uns haben ungläubigen Freunde verloren oder aufgegeben, als wir zum Glauben kamen, entweder weil es von uns (indirekt) verlangt wurde oder wir selbst den übergroßen Wunsch hatten, all unsere Zeit und Energie in christliche Dinge und die Gemeinde zu investieren. Dahinter steckt ein Gedanke, an dem im Grunde nichts auszusetzen ist; immerhin könnte das ja eine Auslegung des Rufs sein, „…zuerst nach dem Reich Gottes zu trachten“ (vgl. Mt 6,33)! Das Ganze wird jedoch einseitig, wenn wir unsere Liebe und Hingabe ausschließlich auf Gemeinde oder den geistlichen Dienst in seinen verschiedenen Ausprägungsformen fokussieren.

Ein Sinneswandel ist nötig – so scheint es jedenfalls. Wir müssen uns ehrlich fragen, wie unsere Beziehung zu unseren säkularen Mitmenschen aussieht. Wir müssen mit unserer Aufgabe, das „Salz der Erde“ (Mt 5,13) zu sein, ins Reine kommen. Was heißt das für uns, als „Salz“ für andere durchs Leben zu gehen? Wenn der Herr uns den „Dienst der Versöhnung“ (2 Kor 5,18; EÜ) gegeben hat, müssen wir wissen, was das bedeutet – und es wäre undenkbar, diese Aufgabe auf die Schlichtung von innergemeindlichen Streitigkeiten und die Milderung geistlicher Hochsensibilitäten zu reduzieren!

Natürlich sollen wir nicht sündigen wie die Menschen in der Welt, nur um ihnen zu zeigen, dass wir uns mit ihnen identifizieren. Wir sollen uns von bösen Gedanken, Ideologien und Praktiken fernhalten; gleichzeitig müssen wir unsere distanzierte Haltung zu säkularen Menschen aufgeben. Wir sind aufgerufen, die Kluft zwischen uns und ihnen zu überbrücken, zu versuchen, sie zu verstehen, uns um sie zu kümmern und ihnen Signale der Hoffnung zu senden. Wir sollen unter ihnen leben und ein Gefühl dafür bekommen, was sie bewegt. War es nicht eine herausragende Eigenschaft Jesu, dass er „… auf alles [verzichtete]; er nahm die niedrige Stellung eines Dieners an und wurde als Mensch geboren und als solcher erkannt. Er erniedrigte sich selbst…“ (Phil 2,7-8; NLB)?

Wir sind aufgerufen, die Kluft zwischen uns und ihnen zu überbrücken, zu versuchen, sie zu verstehen, uns um sie zu kümmern und ihnen Signale der Hoffnung zu senden.

Was bedeutet das alles für Künstler, die an Gott glauben? Ist dieser Ruf, uns mit unseren säkularen Mitmenschen zu identifizieren und „Salz der Erde“ zu sein, auch für uns relevant? Viele Künstler, die Jesus nachfolgen, legen in ihrer Kunst großen Wert auf geistliche Inhalte und Aussagen. Sie beschäftigen sich mit „christlichen“ Thematiken wie Anbetung, das Kreuz, die Liebe Gottes, Heilung etc.. Natürlich ist es unsere Aufgabe, Gott mit unseren Gaben zu verherrlichen und über die Jahrhunderte hinweg haben Künstler immer wieder ihr Bestes für die Kirche gegeben. Dennoch: Wenn wir uns nur um christliche Dinge drehen und jeder, mit dem wir zusammenarbeiten oder den wir erreichen, Christ ist, laufen wir als Künstler ebenfalls Gefahr, den Bezug zur Welt zu verlieren und auch unsere Fähigkeit, uns mit ungläubigen Menschen zu identifizieren.

Säkulare Künstler schaffen großartige und eindrucksvolle Werke, in denen sie dunkle Augenblicke der Geschichte sowie Kummer, Trauer, Leid, soziale Probleme und menschlichen Schmerz reflektieren oder in Erinnerung rufen. Beispiele wie das „Vietnam Veterans Memorial“ in Washington D.C. oder das der großen irischen Hungersnot gewidmete „Famine Memorial“ in Dublin zeigen auf imposante Art und Weise, wie säkulare Künstler Schmerz verarbeiten und Anteil nehmen an den Wunden, die einer Volksseele geschlagen werden. Man fragt sich, wie oft man Künstler sieht, die ihrem Glauben an Gott Ausdruck verleihen, indem sie ähnliche Themen aufgreifen und künstlerisch verarbeiten. Menschlicher Schmerz, Leid, Kummer, soziale Probleme usw.? Ja, es gibt einige, die das tun, aber sollten es nicht mehr sein? Würden solche Kunstwerke nicht eine Botschaft an erschütterte und einsame säkulare Menschen senden, die da lautet: „Ich sehe euch. Ihr seid mir nicht egal. Ich weiß, wie es euch geht“? Würden wir diesen Menschen dadurch etwa nicht das Herz Jesu zeigen?

Bei einem nicht unbeträchtlichen Teil „christlicher“ Kunst wird man das Gefühl nicht los, dass sich viele Künstler in eine innere geistliche Welt zurückziehen, persönliche seelische Problematiken verarbeiten oder sich um ihre eigene Lebensgeschichte, Zerbrochenheit oder Verletztheit drehen. Natürlich geht mit einem künstlerischen Prozess viel Heilung und ein großer Segen einher und dennoch scheint da eine sonderbare Kluft zu sein zwischen Gott und mir (als Künstler) auf der einen Seite und der Welt und ihren Herausforderungen auf der anderen. Sollte uns der Ruf, „Salz der Erde“ zu sein, nicht herausfordern, um mehr Empathie und Mitgefühl für andere zu ringen, uns umzusehen und zu fragen: „Was können wir dieser Welt geben?“ Was ist mit den Lebensgeschichten, dem Schmerz und der Zerbrochenheit derer, die in dieser Welt leben? Wir haben so viel zu geben, weil wir so viel empfangen haben! Aber wir werden erst anfangen zu geben, wenn wir die Notwendigkeit verstanden, die Not erkannt und unser Herz geöffnet haben. Was wir mit unserer Kunst geben, wird durch Identifikation authentisch.

Ich sehne mich danach, mehr gläubige Künstler zu sehen, die ihre Augen öffnen und sehen, was um sie herum geschieht. Ich sehne mich danach, mehr gläubige Künstler zu sehen, die erkennen, wie dringend nötig es ist, dass sie sich mit ihrem „Nächsten“ identifizieren – bevor wir überhaupt daran denken, ihnen „das Evangelium“ nahezubringen. Ich sehne mich nach mehr gläubigen Künstlern mit einem mitfühlenden Herz. Ich sehne mich nach mehr gläubigen Künstlern, die weinen mit denen, die weinen, und lachen mit denen, die lachen.

Ja, viele Künstler sind berufen, Gottes Schönheit darzustellen. Ja, die Gemeinde braucht großartige Kunst. Ja, der Ruf zur Heiligung muss befolgt werden, wenn wir Zeugen Jesu in unserer Gesellschaft sein wollen. Ja, wir haben die Freiheit, unsere inneren Verletzungen mit und durch unsere Kunst zu verarbeiten. Doch als „Salz der Erde“ werden wir in einer säkularen Gesellschaft verstreut, um ihr Geschmack und Würze zu geben. Als Künstler, die an Christus glauben, stehen uns unglaubliche Möglichkeiten offen, „salzig“ zu sein, denn der moderne Mensch liebt Kunst. Aber vielleicht will er nicht nur unsere Kunst hören und sehen; vielleicht sehnt er sich auch danach, Menschen mit einem mitfühlenden Herzen kennenzulernen.

Als „Salz der Erde“ werden wir in einer säkularen Gesellschaft verstreut, um ihr Geschmack und Würze zu geben.
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