Die Pandemie bringt viel Paradoxes mit sich. Sie betrifft die Menschheit insgesamt und führt die Bewohner aller Erdteile in Erfahrungen hinein, die sich zu einer kollektiven Erinnerung verdichten werden. Und dennoch trifft sie jeden von uns unterschiedlich stark und gerade auch in künstlerischer Hinsicht nehmen wir die Wellen und ihre Wirkungen sehr verschieden wahr. Manche von uns arbeiten mehr als je zuvor, andere haben völlig unerwartet freie Zeit zur Verfügung; manche sind frustriert, andere stärker motiviert als sonst.
Nichtsdestotrotz gewinnt man den Eindruck, dass die Monate voller Ungewissheit und Angst, voller Restriktionen und Regeln an vielen von uns nicht spurlos vorübergehen. Man sieht Anzeichen von Abstumpfung, eine Erschöpfung durch das ständige Hin und Her. Wie überdrüssig wir dieser Pandemie doch sind! Manchmal scheint es, als dränge sie uns immer tiefer in ein fatalistisches „Was soll’s?“ hinein. Man fügt sich, wenngleich Künstler, die wirtschaftlich schwer in Mitleidenschaft gezogen werden, durchaus auch mal erbost und zornig reagieren.
Künstler, die einen Blick für die Gesellschaft haben, versuchen, Leid heilsam zu reflektieren, positive Zeichen zu setzen und in kreativer Weise Gegenpole aufzuzeigen. In der Tat ist jetzt die Zeit zu zeigen, welche Kraft in Kunst steckt, um eine Seele aus dem tiefen Tal zu holen. Auch wenn dies derzeit nicht im Rahmen von Veranstaltungen möglich ist, sollten wir nach wie vor digitale und andere Möglichkeiten weidlich nutzen wie z.B. Balkonkonzerte oder „Schaufenstermalerei“.
Aber stößt unser positiver Ausdruck von Kreativität nach all den Monaten der Pandemie nicht auch ein wenig an seine Grenzen? Werden wir früher oder später nicht doch mit einem „Was soll’s?“ den Pinsel, das Instrument oder die Kamera in den Schoß legen und einen leeren Blick in die Ferne schweifen lassen – vor allem wenn uns ein „schwieriger Winter“ droht? Man muss nun einmal, um einen Text aus der Bibel zu bemühen, konstatieren, dass der kulturelle Feigenbaum derzeit nicht grünt und weniger Trauben an den kreativen Weinstöcken wachsen als sonst. Manchmal scheint es, als würden sie schleichend von Mehltau befallen. Der Lockdown-Zustand zermürbt, innere Vitalität beginnt dahinzusiechen.
Deshalb ist es jetzt das Gebot der Stunde für alle Künstler, die ihre Kraft aus dem lebendigen Glauben ziehen, sich auf der Grundlage eben dieses Glaubens gegen eine unterschwellige Zermürbung zu wehren. Lassen wir nicht zu, dass unsere Blüten langsam verwelken oder die Gärten unserer Freunde verwildern. Der Glaube ist das „große Dennoch“ und wann sollen wir mit einem „Dennoch“ aufstehen, wenn nicht jetzt. „Der Herr ist meine Kraft“ heißt es am Ende des oben zitierten Texts aus dem Buch Habakuk. Es geht darum zu erkennen, ob und wie sehr wir bereits von einer schleichenden Resignation befallen sind. Doch dann soll dieses große „Dennoch“ wie ein Ruck durch uns Künstler gehen und uns Durchhaltekraft schenken. Es ist nie zu spät, die Schwere abzuschütteln. Es ist nie zu spät!