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Straßenkünstler mit Porträtgemälden

Da sein

Vergangene Woche war besonders. Aus dem Nichts haben sich alle bei mir gemeldet: Die beiden Malerinnen, die zwei Straßen weiter ihr Atelier haben und schon wieder die nächste Ausstellung planen; der Musiker, der auf wackeligen Füßen steht, weil er nicht genügend Auftritte hat und manchmal nur jemanden zum Reden braucht; die Grafikdesignerin, die lieber von ihrer Malerei als von ihrem Business leben würde; und der Kauz, dessen Texte definitiv ein breiteres Publikum verdient hätten. Und nach all den Gesprächen mit ihnen denke ich mir: Was für ein Schatz an Menschen, der sich bei mir im Viertel gesammelt hat! Und was die drauf haben!


Neulich hab ich gelesen: „Was du mir für mein Leben geschenkt hast, ist wie ein fruchtbares Stück Land, das mich glücklich macht. Ja, ein schönes Erbteil hast du mir gegeben!“ Von David. Auch ein Künstler. Aber wie oft hadere ich mit meinem Leben hier und jetzt, in dieser Zeit, in dieser Stadt, unter diesen Menschen. Vielleicht hat Gott mich ja ganz bewusst für diese Zeit hier reingestellt? Aber ich will im Grunde immer nur woanders sein. Ich bin ein Meister im Wegwünschen. Doch wenn ich mit meinen Kollegen und Kolleginnen zusammen bin, wenn wir Kunst machen, Projekte planen, einander besuchen und unterstützen merke ich: Hier will ich sein, genau hier!
 

Und dann das Künstlertreffen vor zwei Wochen: Was für tolle Leute hier in der Umgebung künstlerisch aktiv sind – die aus ihrem Glauben keinen Hehl machen! Der eine stellt in den schönsten Locations aus und setzt von einem Höhenflug zum andern an; der andere hilft Flüchtlingen, ihre Kreativität zu entdecken; eine Kollegin hat sich für einen Monat in einem leerstehenden Ladengeschäft eingemietet und zeigt dort ihre Collagen – und staunt darüber, wie viele Leute mit ihr über ihre Kunst ins Gespräch kommen wollen. „Anscheinend bin ich genauso interessant wie meine Werke“, hat sie neulich gefeixt. Der wirklich gute Artikel in der Regionalzeitung gab ihr Recht. Aber eines ist klar: Man muss da sein, wenn man das erleben will.
 

Ein „Licht“ sollen wir sein, heißt es. Nicht nur an Weihnachten. Ich glaub, ich bin eher ein Flämmchen, das manchmal mehr rußt als scheint. Wie oft steh ich mir selbst im Weg und seh den Wald vor lauter Bäumen nicht! Eigentlich weiß ich ja, dass meine Kunst stark genug ist, Menschen im Herzen zu bewegen. Eigentlich. Was man alles bewirken könnte, wenn… Ja, wenn. Ich glaube, wir müssen einfach mehr über unsere „Potenziale“ reden. Die haben doch alle immer so gute Ideen. Die müsste man nur zusammentragen. Vielleicht ist es einfacher als gedacht.
 

Und wenn ich so überlege: Die Leute hier im Viertel sind schon ein besonderes Völkchen. Und was ich mit ihnen schon alles erlebt habe! Ich kenne meine Pappenheimer. Immerhin wohne ich schon seit zwanzig Jahren hier. Und ich habe einige Schlauberger kommen und gehen sehen, die hier was aufziehen wollten – und auf Granit bissen. Man muss die Leute eben kennen. Man muss wissen, wie sie ticken, was sie begeistert, was sie nervt. Das ist das Schöne an der Kunst: Sie zieht alle Register und nutzt alle Farben. Sie weint und lacht mit den Menschen und knackt manchmal auch harte Nüsse.
 

Aber das alles geht nur, wenn man auch wirklich da ist – und einem die Menschen rundherum nicht egal sind. Da hab ich, ehrlich gesagt, noch viel Luft nach oben. Aber da kann mir auch Gott helfen, oder? 

„Ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben und will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben.“ (Hes 36,26)

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