Vor einiger Zeit haben wir ein Gespräch mit Hensie van der Merwe über ihre Arbeit mit dem Theatercamp „Camp NEON“ in der Ukraine geführt. Sie berichtet über die beeindruckende und verändernde Arbeit, mit der Gott unter traumatisierten Teenagern durch die Kunst des Theaters wirkt!
Welche Rolle übernimmst du bei den Theatercamps und wer hilft dir dabei?
Ich bin Camp-Leiterin für alle unsere Camp-NEON-Projekte. NEON ist ein russisches Akronym, das für Hoffnung, Evangelium, Gemeinschaft und Mentoring steht.
Alle OM-Mitarbeiter aus Odessa sind Teil des Projektes. Nikolai Niuniaiev ist unser Camp-Koordinator, Yulia Podolyan betreut alle Freiwilligen, Samuel Hughes ist für Bibelarbeiten und Gebet für die Camp-Teilnehmer zuständig, und Joy Loke kümmert sich um ein abwechslungsreiches Programm für alle jüngeren Mitarbeiterkinder im Camp. Es gibt auch ein paar Freiwillige, die in unserem Organisationsteam mitarbeiten.
Unser Team arbeitet gemeinsam an der Gestaltung des Programms; nachdem alle grundlegenden Ideen festgelegt sind, beginnt die eigentliche Arbeit und jeder übernimmt seinen Teil. Nikolai und ich verfassen die Theatertexte. Wir schreiben unsere Skripts so, dass die Teilnehmer die Handlung selbst beeinflussen können. So tragen sie dazu bei, dass die Charaktere eigene Antworten auf die schwierigen Fragen des Lebens finden, und werden mit den Figuren auf die Reise zur Erlösung mitgenommen. Erst dann beginnen wir, ihnen Fragen zu stellen: „Und wie ist es bei dir? Deinem Leben? Deine Entscheidung?“
Für wen sind die Camps vorgesehen?
Wenn wir Programme schreiben, beginnen wir immer mit einer Situationsanalyse - was sind die gefühlten und tatsächlichen Bedürfnisse unseres „Publikums“? Dann integrieren wir das, was wir vermitteln wollen, in die jeweiligen Programmpunkte. Das ist besonders wichtig, weil seit 2014 unser Publikum vor allem aus Waisen, gefährdeten Jugendlichen und Teenagern besteht, die an den Frontlinien des umkämpften Kriegsgebiets im Osten der Ukraine leben.
Wir haben gesehen, wie befreiend und heilend es für diese jungen Menschen ist, wenn sie sich in der sicheren Umgebung eines Theaterstücks den großen Fragen ihres Lebens und ihres Herzens gemeinsam mit den Figuren der Geschichte stellen können. Als wir zum Beispiel unser „Herr der Ringe“-Camp durchführten, fragte der König ganz direkt: „Warum lässt Gott all das Leid des Krieges zu?“
2019 haben wir ein „Star-Wars-Camp“ durchgeführt, 80 km von den Frontlinien entfernt, und die Teilnehmer kamen aus den Städten, in denen die Kämpfe stattfanden. Eine der Hauptfragen war: „Wem vertraue ich, wenn ich Gefahr, Angst oder Schmerz erlebe?“ Wir fragten auch: „"Gebe ich dem Hass nach oder entscheide ich mich dazu, meinen Feind zu lieben?“ und: „Kann ich das aus eigener Kraft tun?“ All das führt dazu, dass wir die Antworten darin finden, dass Jesus für uns am Kreuz gestorben ist. Von 38 Teenagern, die am „Star-Wars-Camp“ teilgenommen haben, haben 19 die Entscheidung getroffen, Jesus nachzufolgen.
Unsere Camps dienen auch als Training für lokale Mitarbeiter, die nach dem Camp mit den Jugendlichen weiterarbeiten. Im Anschluss bieten wir auch noch weitere Fortbildungen an.
Wo finden die Camps statt und wie lange dauern sie?
Wie man der vorigen Frage entnehmen kann, führen wir die Camps an verschiedenen Orten durch, auch im Kriegsgebiet „Donbass“. Oft hat unser Team eine Anreise von 700 Kilometern. Wir starten mit einer 3-4-tägigen Vorbereitungszeit, in der wir das Camp aufbauen, Zelte aufstellen, Kulissen, Deko etc. Während dieser Tage schulen wir auch das Team der lokalen Volontäre in den Grundlagen der Erlebnispädagogik - besonders darin, wie man die Erfahrungen mit den Jugendlichen reflektieren kann, um daraus etwas zu lernen. Außerdem helfen wir den Ehrenamtlichen, selbst Teil der Theaterwelt zu werden, die wir für die Camp-Teilnehmer erschaffen. Dazu gehören das Einstudieren einiger Begrifflichkeiten, Lieder sowie das Kennenlernen untereinander und der Figuren der Geschichte. Das Camp dauert für die Kinder in der Regel etwa 8 Tage.
Wie läuft die Zeit im Camp ab?
Sobald die Teens ankommen, tauchen sie in die Geschichte ein. Sie werden von kostümierten Charakteren (alle Mitarbeiter tragen Kostümelemente) in einer Welt begrüßt, die niemals „Camp“ ist, sondern was auch immer wir kreiert haben. Das „Star-Wars-Camp“ begann zum Beispiel so:
Die Teenager werden von einem imperialen Sturmtruppler aus dem Bus gejagt und von der Prinzessin des Planeten, Melasurej (Jerusalem rückwärts geschrieben), begrüßt. Sie werden darüber informiert, dass ihr Heimatplanet zerstört wurde und sie auf diesem Planeten Zuflucht gefunden haben, wo sie nun als Sklaven des Imperiums arbeiten und Elektromüll sortieren müssen, bis die Prinzessin sich entscheidet, sich dem Imperium zu beugen. Sie müssen sich auch von den Ewoks fernhalten - die sie auf dem Weg zum Camp-Gelände gesehen haben -, ein wildes einheimisches Volk, das sehr gewalttätig ist (im wirklichen Leben sind das die Kinder der Leiter - im Alter von 5-10 Jahren, die in grünen Kapuzen herumlaufen). Dieses Camp-Programm war im Grunde die Geschichte von Mose und den zehn Plagen.
Den Rest des ersten Tages zeigen die anderen Sklaven (Leiter/Betreuer) den Teenagern ihr neues, bescheidenes Zuhause. Sie werden in Teams eingeteilt, ihnen wird die Geschichte erzählt und sie erfahren, dass es am Abend eine Feier geben wird, auf die sie sich vorbereiten müssen.
Während der Camp-Tage, in denen sich die Theatergeschichte entfaltet und die Schauspieler rund um die Uhr mit den Kindern interagieren, sind sie im Camp - sie erleben Bibellektionen, machen Sport und Basteln, lösen Challenges und haben Gespräche am Lagerfeuer - einfach eine Menge Spaß. All das ist in die Geschichte eingewoben und jeder Ort und jede Aktivität bekommt einen Namen, der zum Camp-Thema passt. Jeden Morgen und Abend gibt es eine kurze Theateraufführung, aber auch während des Bastelns oder des Mittagessens kann eine Szene entstehen, wenn etwas gestohlen oder jemand entführt wird und das ganze Lager plötzlich seine Arbeit verlassen muss, um die Prinzessin zu retten... oder den Todesstern zu sprengen, bevor alle vernichtet werden.
Die wichtigste Lernerfahrung findet jedoch abends am Lagerfeuer statt: Hier werden die Erlebnisse des Tages aufgearbeitet und jeder kann darüber nachdenken und sich darüber austauschen, wie sich das, was wir an diesem Tag erlebt haben, auf unser tägliches Leben außerhalb der Geschichte auswirkt. Das ist die Zeit, in der die Masken fallen, und wir können über Christus in unserem Leben erzählen und die Jugendlichen herausfordern, über ihr Leben zu sprechen.
Inwiefern hast du beobachtet, dass diese Camps Leben beeinflussen und Jesu Liebe weitergeben?
Ich berichtete zuvor, wie 19 Teenager eine Entscheidung für Christus getroffen haben. Das Camp ist jedoch immer ein Teil des kontinuierlichen Dienstes an jungen Menschen. Die Tatsache, dass diese Kinder in Jüngerschaft angeleitet werden, wenn sie nach Hause gehen, ist sogar noch wichtiger. Wir haben auch gesehen, wie Mitarbeiter durch ihre Zeit als Helfer beeinflusst wurden, wie z.B. Anya, die gläubig wurde, nachdem sie Teil des Theaterteams gewesen war.
Gibt es eine Lieblingsgeschichte über Veränderung im Leben eines Kindes?
Ich glaube, das erste Theatercamp-Programm, das ich geschrieben habe, enthält eine meiner Lieblingsgeschichten...
Das Programm wurde für etwa 180 Waisenkinder geschrieben. Die Grundidee war, dass die Kinder Archäologiestudenten waren, die in den Nahen Osten reisten, um unserem Hauptdarsteller, dem Professor, zu helfen, die geheimnisvolle „Krone der Schöpfung“ zu finden. Die Kinder haben ganz einfach die Schöpfungsgeschichte kennengelernt und jeden Tag gruben sie irgendein Artefakt aus, das darüber Aufschluss gab, was Gott wann erschuf. In den Bibellektionen lernten sie, was Gott über die Krone der Schöpfung sagt. Da viele (wenn nicht alle) Waisenkinder damit kämpfen zu glauben, dass sie wertvoll sind, lautete die Botschaft: DU bist die Krone der Schöpfung! Am letzten Tag verkündete der Professor, dass die Krone gefunden wurde und die Camp-Teilnehmer sie sich ansehen dürfen. In einem sehr aufwändigen Spiel bauten wir einen Zoo auf und ließen die Kinder Team für Team hindurchgehen. Die Schauspieler spielten verschiedene Tiere, die lustige Sachen machten – aber sie zeigten, dass sie nicht die Krone sind.
Die letzte Station war ein kleines Zelt, in das man hineinkriechen musste - und dort war die Krone. Ich hatte die Ehre, mit jedem der 180 Kinder in dieses kleine Zelt zu gehen, ihnen einen Spiegel vorzuhalten und ihnen zu erklären, dass all die erstaunlichen Dinge, die sie in dieser Woche über die Krone der Schöpfung gehört hatten, auf jeden von ihnen zutrifft.
Es war erstaunlich, die Reaktion auf den Gesichtern zu sehen: Fassungslosigkeit, Erkenntnis und dann, ganz langsam, akzeptierten sie es: „Gott denkt, dass ich etwas Besonderes bin - etwas ganz Besonderes.“ Und dann gab es immer wieder Tränen. Die Zeit schien stillzustehen, während ich so viele von ihnen - von kleinen Kindern bis hin zu großen, wilden Teenagern - weinend in meinen Armen hielt, in der Abgeschiedenheit des kleinen Zeltes.